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Frauenmode zwischen Sexismus und Unabhängigkeit

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Eine Gratwanderung

Aufforderungen, sich nicht mehr zu schminken und High Heels auf den Müll zu werfen, Zeit nicht mehr mit Shoppen, Augenbrauenzupfen, Nägellackieren und Beinerasieren zu verbringen, werden immer wieder laut. Zu groß sei der Ballast der traditionellen Stereotypen in unserer Gesellschaft und frau sei nicht souverän genug, um tatsächlich autonome Entscheidungen hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes zu treffen. Von Freiwilligkeit oder Spaß könne dabei nicht die Rede sein. Wer so spricht, übersieht jedoch, dass Traditionen wie die, sich Schönzumachen, ihren eigenen Stellenwert haben, und sich Festlegungen auf Geschlechterrollen nicht per Dekret über Bord werfen lassen.

Eine Art Spiel

Wer auf sein Äußeres Wert legt, sollte dies ruhig weiter tun. Wer sich gehen lassen möchte, darf auch das durchziehen, bis sich gegebenenfalls BürokollegInnen oder PartnerInnen beschweren. Es sind ja nicht nur Frauen, die sich aufbretzeln und herausputzen. Dies so darzustellen, ist schon eine erste Verzerrung der Wahrnehmung. Viele Menschen empfinden den „Kostümwechsel“ für den Abend, zum Sport oder für die Freizeit als eine Art Freiraum. Die Vielfalt der menschlichen Persönlichkeit findet darin ihren Ausdruck. Auch sich in Schale zu werfen oder als Drag Queen loszuziehen, ist im Grunde nur das: Es hat vor allem etwas Spielerisches und das Anziehen bestimmter, für eine Gelegenheit ausgesuchter Kleidung hat etwas mit Rollen zu tun.

Ich als eine andere – Rollenspiele

Spiele sind generell keine Einengung, sondern eine Möglichkeit der Entfaltung, der Variation, des Ausprobierens, des Testens, des Unernstes, des Tuns-als-ob. In der Geschichte der Menschheit lag im Spiel schon immer eine große Freiheit – und so ist es auch noch heute. Und entsteht gedankliche Freiheit nicht letzten Endes auch dadurch, dass es möglich ist, sich selbst als jemand zu sehen und auszuprobieren, der man eigentlich nicht ist? Welche Bedeutung hat Kleidung für unser Selbstgefühl? Hierzu befrage man einen Schauspieler und einen Uniformträger. Niemand ist zudem jeden Tag gleich gestimmt. Mal fühlen wir uns – die wir sowohl männliche wie auch weibliche Persönlichkeitsanteile in uns vereinen – mehr so und mal mehr so. Inwieweit dies allein durch Vererbung und Erziehung oder auch durch physische (hormonelle) Einflüsse definiert ist, sei dahingestellt.

Rollenmuster

Rollenmuster hingegen sind bereits feste Vorstellungen davon, wie jemand zu sein hat. Sie allein bestimmen neben politischen Rahmenbedingungen, welche Freiheiten Frauen haben und welche nicht. Kleidung, Mode, äußeres Erscheinungsbild sind lediglich die Vehikel, um diese Rollenmuster zum Ausdruck zu bringen. Hätten sich nicht zunächst in den Köpfen der Frauen Rollenmuster geändert, die sich etwa für das Wahlrecht der Frauen eingesetzt haben, würden wir womöglich noch heute unsere Ehemänner um Erlaubnis bitten müssen. Allerdings spielt es für die Frauenrechte keine Rolle, ob die Damen, die sie seinerzeit erkämpften, ein Korsett trugen oder nicht. Heute angedachte Geschlechtsneutralität in der Kleidung wiederum kann eine aufgezwungene Rolle sein und damit das Gegenteil von Unabhängigkeit.

Spielt es eine Rolle?

Bei den Verhandlungen zur Gestaltung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland im Parlamentarischen Rat trug Elisabeth Selbert (1896–1986) dasselbe wie ihre drei weiteren Kolleginnen in diesem ansonsten von Männern dominierten Gremium: mutmaßlich ein neutrales Kostüm, eine weiße Bluse, Seidenstrümpfe und feste Schuhe. Sie war frisiert, hatte ihre Haare hochgesteckt, und wenn sie ein Make-up trug, war es unauffällig. Nicht aufgebrezelt, dennoch zurechtgemacht. Sie trug Schmuck und sie war nicht gertenschlank. Aber Elisabeth Selbert focht einen zähen Kampf. Sie war Juristin und am Ende ihres langen Ringens um die Gleichberechtigung war es ihr zu verdanken, dass in unserem Grundgesetz gleich nach dem ersten Satz „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ der Satz steht „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“.

Stereotype und Sexismus

Doch welche Botschaften übermitteln Kleidung und Mode heute? Jahrzehnte nach der Erringung des Wahlrechts und der Gleichstellung? Bemerkenswert ist, um nur eines der vielen Beispiele zu nennen, dass Models in der Modebranche durchgängig als „Mädchen“ bezeichnet werden. Oder dass sich vornehmlich junge Frauen im Internet in Videoclips nahezu ausschließlich der Frage der Schönheit widmen, während Männer den Bereich der Technik, der IT, des Handwerklichen, der Wissenschaften generell, der Bildung und vieler anderer Bereiche abdecken. Es mutet so absurd an wie ein freiwilliger Gang in die Gefängniszelle – mit rausgereckter Brust und geschürzten Lippen. Wo die Frage nach Schönheit und Mode sich verselbstständigt oder sich schleichend ein Frauenbild etabliert, das Frauen als Trägerinnen von Eigenschaften sieht, die Männern gefallen müssen – da sollte nicht erst der Werberat eingreifen.

Dreisisch Euro swansisch Minut

Es ist nicht bedeutungslos, wie sich Frauen kleiden (müssen), auch wenn die Kleidung derjenigen, die etwas erreicht haben oder erreichen, nicht im Vordergrund stand. Nicht die auffällige Kleidung von Christine Lagarde ist dafür verantwortlich, dass sie heute die EZB leitet. Sensibilität für die Botschaft hat trotzdem heute nicht unbedingt Konjunktur, im Gegenteil. Gerade junge Labels wie die Essener Marke „Naketano“ setzten mit ihren Hoodies (mit Aufdrucken wie „Dreisisch Euro swansisch Minut“) bewusst auf sexistische Botschaften. Aufmerksamkeit generieren schien das Marketingkonzept zu sein, denn es kostete weniger als gute Werbung. Den Gründern der Marke, Sascha Peljhan und Jozo Lonac, fehlte vor allem eines: Kreativität und Talent. Designkonzept? Fehlanzeige. Nach einem gerichtlichen Streit wurde die Marke eingestellt. Sascha Peljhan, der eloquente Erfinder von T-Shirt-Aufdrucken wie „Muschifurz“ verließ schweigsam das Gericht.

Oh … hihi … ach so!

Frauen, die mitspielen, solche T-Shirts tragen, auf Dummchen machen, Ignoranz unter den blonden Löckchen demonstrieren, sich von „Emanzen“ meinen abgrenzen zu müssen, zeigen damit vor allem eins: Dummheit. Aufmischen und Kohle machen, ist nämlich das Konzept von Naketano gewesen. Heute investiert man in einen Bundesliga-Verein. Man(n) bleibt eben unter sich – und kultiviert „sein“ Milieu. Alles ein Geschäft. Auf dem Rücken von misshandelten, vergewaltigten und zur Prostitution versklavten Frauen. Denn mit diesen Assoziationen spielte die Marke. Man kann das wegkichern, es ändert aber nichts an den Tatsachen.

„Das macht mein Mann“ – junge Urgroßmütter

Mit der Haltung, sich über den Mann zu definieren, nähern sich viele jüngere Youtube-Influencerinnen wieder an die Generation unserer Urgroßmütter an. Sie verweisen auf die latente Frauenfeindlichkeit, die auf Youtube herrsche und es ihnen unmöglich mache, in andere Bereiche vorzudringen. Tatsächlich bescheinigen neueste Studien Youtube ein latentes Sexismus-Problem.

The Battle of Sexes

Der Geschlechterkampf ist ein altes Phänomen. Frauen sollten sich vor allem klarmachen, dass es überall darum geht, sich zu behaupten und durchzusetzen. Kleidung erscheint dabei tatsächlich eher marginal. Sie sollte den eigenen Absichten nicht im Wege stehen und das eigene Standing nicht konterkarieren. Aufwertende Mode hilft, als Frau so gesehen zu werden, wie man gesehen werden möchte. Wenn Lena Meyer-Landrut mit viel Aufwand für Produktwerbung (für Cartier, L’Oreal u.a.) auf der Berlinale 2018 mit einem Kleid erscheint, dass andere Frauen als zu freizügig bewerten, selbst aber anschließend mahnt, man solle sich doch nicht an solchen „Kleinigkeiten“ aufhängen, dann ist auch das eine Marketingstrategie. Aufmerksamkeit für Lena und ihre Werbevertragspartner unter Zuhilfenahme der Strategie Provozieren, denn „Sex sells“. Nicht mehr und nicht weniger.

Konkret

Konkret bedeutet das, die Kleidung, die alles sein kann, was eine Frau tragen kann, trotzdem immer unter dem Vorzeichen zu sehen, dass sie die Frau, die eigene Persönlichkeit aufwertet. Im Falle Lenas ist das schiefgegangen, denn sie hat sich als Werbeträger für Marken verkauft. Hier geht es ebenfalls ums Geschäft und nicht um ihre Persönlichkeit. Und das wissen eigentlich auch alle. Im Falle Christine Lagardes, die wahrscheinlich nicht nur geliehenen Schmuck von Cartier trägt, sondern sich teuren Schmuck vermutlich selbst leisten kann, ist es andersherum. Was auch immer sie trägt, es ist Christine Lagarde.

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